Armut ohne Würde – Sozialhilfe

Es gab eine Zeit in meinem Leben, da musste ich Sozialhilfe beantragen. Nach einem Burnout, als das Krankengeld auslief, blieb mir keine Wahl. Ich war nicht arbeitsfähig, nicht leistungsfähig, nicht „produktiv“. Ich war einfach nur erschöpft. Und doch fühlte sich dieser Schritt nicht wie Hilfe an – sondern wie ein tiefes, demütigendes Versagen.

Jeden Monat musste ich zu meinem Sachbearbeiter. Ein Mann, der mich mit einem Blick musterte, als müsste er persönlich entscheiden, ob ich es verdiene, Unterstützung zu erhalten.
„So wie Sie aussehen, brauchen Sie das doch eigentlich gar nicht“, sagte er mir direkt beim ersten Beratungstermin mit abschätzender Miene.

Ich hatte mir an diesem Morgen Make-up aufgetragen, mich ein wenig geschminkt – nicht, um jemandem etwas vorzumachen, sondern für mich. Um mir das letzte bisschen Selbstwertgefühl zu erhalten, um nicht auch noch äußerlich so auszusehen, wie ich mich innerlich fühlte. Doch genau das wurde mir gefühlt zum Verhängnis, wurde mir zum Vorwurf gemacht. Es verstärkte das Bild, ich würde ja nicht wirklich wollen.

Sozialhilfe bedeutet, sich komplett nackt zu machen – nicht nur finanziell, sondern auch seelisch. Jede Ausgabe wurde geprüft. Mein Kontostand durchleuchtet.
Als meine Oma meinem Kind zum Geburtstag Geld schickte, wurde es mir angerechnet.
„Das zählt als Einkommen“, hieß es. Ein Geschenk. Für mein Kind. Aber ich durfte nicht wütend sein, durfte nicht hinterfragen, durfte nicht darauf bestehen, dass das unfair war.

Wer Sozialhilfe bezieht, hat keinen Raum für Stolz, keinen Raum für Gerechtigkeit. Dass das so gar nicht stimmte, wusste ich damals nicht. Ich hatte niemanden, an den ich mich wenden konnte, um mich beraten zu lassen. Und von anderen Betroffenen wusste ich nur zu gut: Mit dem Sozialamt legt man sich besser nicht an, sonst bekommt man gar nichts mehr. Und was passiert dann mit mir und den Kindern?

„Sie müssen sich jetzt dann mal zusammenreißen und wieder arbeiten gehen“, sagte mein Sachbearbeiter irgendwann.

Ein Satz, der sich wie eine Ohrfeige anfühlte. Als wäre ich eine Lügnerin, die nicht arbeiten wollte, die gerne krank und arm sein wollte. Als wäre es meine eigene Faulheit, die mich hierhergebracht hatte. Als hätte ich mir all das ausgesucht.
Doch genau so wird es vermittelt: Du bist hier, weil du versagt hast. Und nun musst du dich rechtfertigen.

Jeden Monat ein neuer Termin. Jeden Monat das Gefühl, nicht nur mittellos, sondern wertlos zu sein. Ständige Androhungen von Maßnahmen, die mich klein halten sollten – 1-Euro-Jobs, Zuweisungen, Sanktionen, falls ich nicht „kooperiere“.
Niemand fragte, was ich brauche, um wieder gesund zu werden. Es ging nie um mich. Es ging um Kontrolle.

Am Ende habe ich resigniert. Ich konnte diese permanente Demütigung, diese Beschämung nicht mehr ertragen.
Gegen den Rat meiner Ärztin meldete ich mich selbst gesund und beim Arbeitsamt arbeitsfähig, tat alles, um wieder in den Job zurückzukehren.

Auch die Notstandshilfe war nicht viel, und ich hätte ein Anrecht auf Aufstockung vom Sozialamt gehabt.
Ich hätte sie gebraucht – doch ich habe bewusst darauf verzichtet.

Denn noch mehr brauchte ich das Gefühl, wieder ein Mensch mit zumindest ein bisschen Würde zu sein.

Also entschied ich mich, lieber jeden Cent dreimal umzudrehen, als noch einmal dort zu sitzen, mich rechtfertigen zu müssen und mich beschämen zu lassen.
Mich so wertlos zu fühlen, nur weil ich auf Sozialhilfe angewiesen war.
Weil ich nie wieder dieser Erniedrigung ausgesetzt sein wollte.

Sozialhilfe soll Menschen helfen. Doch in Wahrheit hält sie sie klein. Sie zwingt sie in eine Position der Hilflosigkeit, in der jede Entscheidung fremdbestimmt ist, in der man sich nichts mehr herausnehmen darf – nicht einmal die Würde, sich morgens im Spiegel anzusehen, ohne sich schuldig zu fühlen.


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